Helmut J. Psotta

Anmerkungen zur Entstehung von El Retorno de Orfeo (Orpheus kehrt zurück)


Die Zeichnungen zum Orpheus-Projekt, Chile 1997/98


Nach der langjährigen Arbeit am Todesbilder-Projekt wurde H.J. Psotta vom Goethe-Institut in Santiago de Chile eingeladen, das Konzept für eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem eben restaurierten Opernhaus in der Ruinenstadt Chacabuco inmitten der chilenischen Atacama-Wüste (nahe der Hafenstadt Antofagasta) zu entwerfen. Die ehemalige Salpetermine im extremen Norden Chiles gelangte überdies unter der Pinochet-Diktatur als Konzentrationslager für politische Gefangene zu trauriger Berühmtheit. 1997 reiste er an diesen Ort, hielt sich mehrere Tage in der unwirtlichen Umgebung der toten Gräber-Stätte auf, immer fürsorglich umgeben von chilenischen Freunden ... Mit der vagen Vorstellung eines künstlerischen Plans fuhr er zurück in die Hauptstadt.

»In den ersten Tagen war ich von dieser tiefgehenden Erfahrung sehr beeindruckt, wußte zunächst nicht einmal, wohin ich da so schnell geraten war - wie eine Phantasmagorie sah ich den dunklen Raum des Opernhauses mit seiner offen gähnenden Bühne vor mir - draußen das klirrende Licht der Wüste, eine luftlose Stille im absoluten Nichts ...«

Auf einer Theaterveranstaltung lernte er einen jungen Schauspieler - Matías - kennen, dessen Gegenwart ihn mehr und mehr zu faszinieren begann - von nun an war er täglich auf der Suche nach Material bzw. Themen-Stoff für das bis dahin abstrakte Chacabuco-Projekt, zusammen mit seinem neuen Begleiter, der über eine ausgezeichnete Kamera verfügte. So begannen die Vorarbeiten zum Orpheus-Zyklus: im November 1997 entstanden in sehr kurzer Zeit die ersten visuellen Interpretationsversuche, sich unter den gegebenen Voraussetzungen diesem mythisch-verschlüsselten Thema anzunähern, die letztlich als Resultat in einigen hundert fotografischen Bildern gipfelten - von ihm an kontroversen Orten chilenischer Topografie realisiert.

»Wir arbeiteten in den Weiten der Küste am Ozean, in obskuren Hochhausetagen der Großstadt, in Heldenmausoleen, auf Friedhöfen und in den Schneeflächen der höchsten Anden, vom frühen Morgen bis in die Nacht. Mein deutscher Begleiter, Helmut Noé vom Goethe-Institut, schenkte mir in Santiago ein ungewöhnlich voluminöses Schreibheft, in dem ich in einer Nachtbar in Bellavista - die meinem Tänzer-Freund Vicente gehörte - hin und wieder meine Werknotate und Ideenskizzen machen konnte, Pläne für die nächste Installation, Performance etc. aufzeichnete. Dieses Buch trug den beziehungsreichen Markennamen REM - das konnte nicht zufällig sein, denn ich bewegte mich tatsächlich in der nachtwandlerischen Dimension eines Tag-Traums, der erst endete, als ich vor einer Coca-Cola-Flasche am Flughafen saß und mich von Matías und seiner dramatischen Existenz verabschieden mußte (ich habe diesen idealen Orpheus-Protagonisten bis heute nicht wiedergesehen). Aber das Konzept für das Projekt war in der Welt - wie es das Goethe-Institut von mir erwartete - und ich wollte unter dem Titel El Retorno de Orfeo (Orpheus kehrt zurück) daran weiterarbeiten, bis die Bühne in Chacabuco wieder erreicht ist.«

In Deutschland begann H.J. Psotta die Notizen im chilenischen REM-Buch langsam mit Zeichnungen zu ergänzen und bis zur letzten Seite anzufüllen - auf diese Weise entstand eine grafische Etüde zur Geschichte, die er zu erzählen beabsichtigte und deren Bild-Erfindung er anhand des umfangreichen Fotomaterials ständig weiterentwickelte.

Diese unendliche Bilder-Folge stellte sich am Ende als eine autonome, d.h. an keinen konkreten Zweck gebundene Version des Orpheus-Projekts dar, in der dramaturgischen und ästhetischen Konzeption völlig abgeschlossen.

Das Buch umfaßt über 200 doppelseitige Zeichnungen, die jedoch erst durch die fotografische Reproduktion in der zusammenhängenden szenischen und inhaltlichen Abfolge wirklich les- bzw. erfahrbar werden.

Als H.J. Psotta 1998 erneut nach Chile reiste, konnte er von den kurz zuvor gemachten Erfahrungen nichts mehr wiederfinden. Später bezeichnete er die konzentrierten Foto-Sequenzen und Zeichnungen-Serien als »eine seiner perfektesten Arbeiten.«

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