Helmut J. Psotta

Anmerkungen zu Todesbilder




»Es ist eine von der Wurzel her fremde Welt, die uns hier begegnet, soviel gute und böse (meist böse!) Einflüsse und Zuflüsse aus Europa, die den Boden dieser Wurzel genährt und den ihr entwachsenden Stamm emporgetrieben haben. Begreifen, erfassen werden wir ihn, wenn überhaupt, dann nur haptisch-sinnlich - unser Verstand und unser Empfinden sträuben sich all das zu akzeptieren, was in diesen Bildern und durch sie sichtbar wird, sichtbar wird nur durch eine unablässige und verzweifelte Verletzung all der Tabus, mit denen die christliche Religion den Bereich des Sexus belegte - um den der Gewalt davon frei und also neutral zu halten.
Nur durch die permanente Aufhebung aller Tabus (auch solcher, die im Namen der Formensprache der Moderne erlassen wurden) konnten die Schleusen dieses Bilderstroms geöffnet werden. In diesem Bilderstrom vermeine ich die Stimme nicht nur einzelner Künstler sondern die eines ganzen Volkes zu vernehmen.«

Wieland Schmied




Im Jahre 1982 wird H.J. Psotta als Gastprofessor an die Kunstfakultät der Universität von Lima (PUC), Peru, berufen. Noch während seiner Lehrtätigkeit beginnt er mit den Vorbereitungen zu einem multimedialen Kunst-Projekt, das er mit zwei seiner Studenten (R. Avellaneda, S. Zevallos) im peruanischen Andengebirge realisieren will.

In der Nähe des Ortes Chaclacayo findet er die leerstehende Sommerresidenz eines peruanischen Generals: die Villa ›Luz del Carmen‹. Hier beginnt er mit der Arbeit am ersten Teil des Projekts Peru - ein Traum.

Das Goethe-Institut organisiert bereits nach eineinhalb Jahren eine Gesamtausstellung im Museo de Arte (Kunstmuseum) in der Metropole Lima, die - von ca. 30.000 Besuchern gesehen - kontroverse öffentliche Reaktionen hervorruft. H.J. Psotta beschließt, auch während der schwieriger werdenden politischen Situation langfristig an diesem Projekt weiterzuarbeiten, um seine inhaltliche und künstlerische Qualität um ein Vielfaches steigern zu können. Dabei konzentriert er die thematische Aussage auf das Phänomen des Todes - eine Erfahrung, mit der er von jetzt an im ausbrechenden Bürgerkrieg ständig konfrontiert wird. Entsprechend verwendet er die ästhetischen Ausdrucksmittel stets unbegrenzter und radikaler - es entstehen die umfangreichen Zeichnungenzyklen, Malereien, Straßenperformances, Installationen, Inszenierungen, fotografische Dokumentationen und Videoaufzeichnungen.

Erst 1989 - nach sieben Arbeitsjahren - schließt er das Projekt in der ›peruanischen‹ Entstehungsphase ab und gibt ihm den beziehungsreichen Titel Todesbilder - Peru oder Das Ende des europäischen Traums. Das Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, übernimmt - zusammen mit dem Goethe-Institut, dem Auswärtigen Amt, Bonn, und der Deutschen Botschaft in Lima - den Transport des gesamten Werkes in die Bundesrepublik. Die Gruppe verlässt die Wüstenoase in den Anden.

In Deutschland wird das Projekt in wechselnden Versionen als work in progress in zahlreichen Ausstellungen gezeigt. Die erste Station ist das IfA Forum in Stuttgart, danach folgt eine Retrospektive im Museum Bochum - die multimediale Struktur kann um kontinuierliche Performance-Veranstaltungen erweitert werden. Auch in den großen Ausstellungen im Badischen Kunstverein Karlsruhe und im Künstlerhaus Bethanien Berlin setzt H.J. Psotta immer konzentriertere Medien ein. Auf Einladung des Berliner Künstlerprogramms des DAAD wohnt die Gruppe jetzt in Berlin - über Motivation und Hintergründe des Projekts erscheint im Berliner Alexander Verlag eine ausführliche Publikation mit Beiträgen von u.a. Wieland Schmied, Michael Haerdter, Andreas Vowinckel.

Das Zentrum für Kunstausstellungen der DDR bemüht sich um die Übernahme der Ausstellungen nach Ost-Berlin; trotz der brisanten politischen Lage - kurz vor dem Fall der Mauer - nimmt H.J. Psotta diese Einladung an. Die Galerie am Weidendamm im Zentrum der Stadt zeigt wesentliche Schwerpunkte des Projekts; das Maxim Gorki-Theater präsentiert in seinem Foyer eine fotografische Werkschau - auf der Studio-Bühne verwirklicht die Gruppe Performance-Serien, die zu Höhepunkten ihres Berliner Aufenthalts werden.

Weitere Stationen schließen sich an: Raum-Installationen und Inszenierungen auf dem Herner Theater-Festival im Ruhrgebiet, das Kunst-Fest in Dresden, auf dem H.J. Psotta 1994 im Festspielhaus Hellerau den Prolog zu seinem Parsifal-Projekt inszeniert und mit der ›Chaclacayo‹-Gruppe aufführt ...

1995 - nach 13 Jahren gemeinsamer Suche - betrachtet er die Arbeit am Todesbilder-Projekt an der Grenze seiner Darstellungsmöglichkeiten als endgültig abgeschlossen.

Mitten in der Arbeit an diesem ungewöhnlichen Kunst-Ereignis äußerte sich H.J. Psotta über seine persönlichen Vorstellungen: »Deshalb Peru - eine anthropologische und politische Realität, die das Allgemeine am Besonderen (oder Zufälligen) extrem und exemplarisch sichtbar und begreifbar machen kann; wobei das ›Allgemeine‹ sich auf den konkreten Zustand der sogenannten Alten Welt bezieht, das Abbild sein Urbild spiegelt, es als Entsprechung symbolisiert.«

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